Das Mehrebenenkompetenzmodell von Wilkens, Keller & Schmette (2006)

Wilkens und Kollegen definieren Kompetenz als die situationsübergreifende Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit eines sozialen Akteurs (Individuum, Gruppe, Organisation), die sich zeigt, indem bei wandelnden Aufgabenstellungen selbstorganisiert Lösungsmuster hervorgebracht werden.

Nachdem Kompetenz lange Zeit nur für Mitarbeiter betrachtet wurden, werden im Mehrebenenansatz sowohl individuelle Akteure als auch kollektive Akteure (z.B. Team, Organisation, Netzwerk) berücksichtigt. Dadurch können Zusammenhänge zwischen den Kompetenzen von Mitarbeitern, Teams und der Organisation analysiert werden. Durch die zusätzliche Einbeziehung der Netzwerkebene wird deutlich, dass auch organisationsexterne Bezugssysteme zur Entwicklung von Handlungsfähigkeit beitragen.

Gerade zwischen diesen Ebenen auftretende Wechselbeziehungen liefern wesentliche Erkenntnisse zur Organisationsentwicklung. Die gesamte Kompetenzstruktur eines Unternehmens kann sichtbar gemacht werden. So kann es Organisationen geben, deren Kompetenzentwicklung im Kern auf Teambeziehungen basiert und andere, deren Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit sich auf individuelle Kompetenzen ihrer Mitarbeiter stützt. Die Kompetenzstruktur beeinflusst die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit einer Organisation, sodass es sich durchaus lohnt, diese im Detail zu erforschen.

Basierend auf der sozial-kognitiven Theorie von Bandura (1986, 2000, 2001) und der Komplexitätstheorie komplexer adaptiver Systeme (Kappelhoff, 2004; Kauffmann, 1993) sind im Rahmen des Mehrebenenansatzes vier Kompetenzdimensionen identifiziert worden, welche sich auf allen Ebenen wiederfinden:

  • Komplexitätsbewältigung: Die Fähigkeit zur Aufnahme und Strukturierung von Umweltveränderungen durch sinnvolle Selektion von Informationen und durch Rückbesinnung auf vorhandene Handlungsoptionen. Ein guter Umgang mit Komplexität wird z.B. durch die Fähigkeiten gekennzeichnet, Informationen gezielt aufzunehmen und zu priorisieren, Arbeitsschritte zielorientiert in Bezug auf Zeitaufwand einzuschätzen und auch unter Stress und Druck handlungsfähig zu bleiben.
  • Selbstreflexion: Die Fähigkeit, den eigenen Entwicklungsprozess aufgrund von Rückmeldungen aus der Umwelt im Hinblick auf die eigenen zur Anwendung kommenden Handlungsroutinen zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen. Eine hohe Selbstreflexion zeigt, wer z.B. seine Arbeitsweisen zielgerichtet optimieren kann, den Erfolg von Ergebnissen kontrolliert oder Feedback von außen einholt und geben kann.
  • Kombination: Die Fähigkeit, sein Wissen in unterschiedlichen Problemsituationen einzusetzen und dabei ggf. neu zu kombinieren, wodurch eine Wissenserweiterung stattfindet. Wichtige Voraussetzungen dabei sind u.a. die Möglichkeit auf eine breite Wissensbasis zurückgreifen zu können, angesichts neuer Probleme kreativ zu arbeiten sowie Erfahrungen auf neue Situationen zu übertragen.
  • Kooperation: Die Fähigkeit, Interaktionsbeziehungen zu anderen Akteuren zu gestalten und aufrecht zu erhalten, um eigene Handlungsoptionen zu erweitern. Konstruktiv kooperieren kann, wer in der Lage ist, andere Wissens- und Erfahrungsträger gezielt in die Problemlösung einzubinden, verständlich und zielgerichtet zu kommunizieren, eigene Interessen zurückzustellen und sich auf Andere einstellen kann.

Der Ansatz bietet eine Grundlage entscheidende Ansatzpunkte zur Förderung der Handlungs- und Problemlösungsfähigkeiten zu identifizieren und praktisch umzusetzen.

Mit dem Mehrebenenkompetenzmodell wurde im Projekt CCM² die Analyse des Zusammenspiels von individuellen und kollektiven Kompetenzen untersucht. Es wurden Hebelwirkungen zwischen den verschiedenen Kompetenzebenen sichtbar gemacht, um hieraus effektive Maßnahmen abzuleiten. Dank des Mehrebenenansatzes kann die Förderung dynamischer Fähigkeiten in Unternehmen analysiert und vertieft verstanden werden.

Um diesen Ansatz zu vertiefen, empfehlen wir folgende Literatur:

  • Bandura, A. (1986). Social Foundations of Thought and Action – A Social Cognitive Theory. Englewood Cliffs: Prentice Hall.
  • Bandura, A. (2000). Exercise of Human Agency through Collective Efficacy. Current Directions in Psychological Science, 9(3), 75-78.
  • Bandura, A. (2001). Social Cognitive Theory – An Agentic Perspective. Annual Review Psychology, 52, 1-26.
  • Gröschke, D., & Wilkens, U. (2009). Ebenenübergreifende Kompetenzfeststellung: Diskussion eines Operationalisierungsvorschlags. In D. Münk, & E. Severing (Hrsg.), Theorie und Praxis der Kompetenzfeststellung im Betrieb – Status quo und Entwicklungsbedarf Bd. 7, Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufsbildung, S. 123–138. Bielefeld: Bertelsmann.
  • Kappelhoff, P. (2004). Kompetenzentwicklung in Netzwerken: Die Sicht der Komplexitäts- und allgemeinen Evolutionstheorie. Berlin.
  • Kauffman, S. A. (1993). The origin of order. Oxford.
  • Krins, C., & Sprafke, N. (2011). Kompetenzerfassung in Kleinunternehmen: Eine Fallstudie zur Interdependenz individueller und organisationaler Kompetenzen. In E. Barthel, A. Hanft, & J. Hasebrook (Hrsg.), Integriertes Kompetenzmanagement als Aufgabe der Organisations- und Personalentwicklung S. 313–335. Münster: Waxmann.
  • Wilkens, U., Keller, H., & Schmette, M. (2006). Wirkungsbeziehungen zwischen Ebenen individueller und kollektiver Kompetenz – Theoriezugänge und Modellbildung. In G. Schreyögg, & P. Conrad (Hrsg.), Management von Kompetenz Bd. 16 Managementforschung, S. 121–161. Wiesbaden: Gabler.

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  „Das CCM²- Mehrebenenmodell erlaubt die Analyse von zwei zentralen sozialwissenschaftlichen Grundproblemen auf neue Weise. Erstens gestattet es, die Zusammenhänge von Kompetenzen auf unterschiedlichen Komplexitätsebenen – etwa von individuellen Kompetenzen und Unternehmenskompetenzen – noch tiefgründiger als bisherige, wichtige Versuche (Saarbrücker Formel; Integriertes Kompetenzmanagement) zu beschreiben. Zweitens weist es Werten – individuellen Werten wie Werten der Unternehmenskultur – eine unverzichtbare eigene Rolle zu: Erstere sind die Kerne der individuellen, letztere die Kerne der kollektiven Kompetenzen Selbstreflexion, Komplexitätsbewältigung, Kombination und Kooperation.“

 

Prof. Dr. John Erpenbeck

Mit dem Mehrebenenkompetenzmodell können Wirkungsbeziehungen zwischen den Kompetenzebenen in Organsiationen sichtbar gemacht und Maßnahmen mit Hebelwirkung identifiziert werden.